Pfarrer Ludwig Böll: Missionar aus Leidenschaft

© Markus Hauck (POW)

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Zu seinem jüngsten Heimatbesuch kam er am letzten Geltungstag seines Reisepasses. Dass der Deutschlandaufenthalt dann unter anderem mit dem schnellstmöglichen Beschaffen eines Ersatzdokuments überlagert war: geschenkt. Wer nach dem heimlichen Überqueren der grünen Grenze nach Kolumbien den Grenzbeamten am dortigen Flughafen überzeugen kann, den für eine Ausreise eigentlich zu kurz gültigen Reisepass nicht zu beschlagnahmen, den erschüttert so leicht nichts.

Das Dokument ist für die Wiedereinreise unentbehrlich, weil darin die permanente Aufenthaltsgenehmigung für Venezuela verzeichnet ist. Nach Kolumbien musste Pfarrer Ludwig Böll (81) reisen, weil derzeit kein Flug von Venezuela nach Deutschland geht.  Von den knapp 55 Jahren seines priesterlichen Wirkens hat er über 40 als Missionar in Lateinamerika verbracht. Davon mehr als 21 Jahre in Venezuela. Vor wenigen Tagen ist er wieder in das von staatlicher Fehlwirtschaft und internationalen Sanktionen gebeutelte ölreiche Land zurückgekehrt. Offiziell ist Böll seit 2018 im Ruhestand, wirkt aber weiterhin als Pfarrer in El Palmar.

„Von einem Einsatz in Südamerika hab ich bereits im Studium geträumt“, erzählt Böll. Geboren in Würzburg, wuchs er in Schonungen auf. Anfang der 1970er Jahre sei an die Theologische Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main ein Missionar gekommen und habe von seiner Arbeit in Brasilien erzählt. Die Idee ließ Böll ebenso wenig los wie seinen Studienkollegen Josef Otter, der ein Jahr über ihm war, erzählt er. Otter ist im Bistum Würzburg unter anderem für seine kolumbianischen Stiftung „Camino de la Esperanza“ und die deutschen Stiftung „Weg der Hoffnung“ bekannt, welche die Missionsarbeit in Kolumbien fördern. Vor seiner Priesterweihe habe Böll Bischof Josef Stangl von seiner Sehnsucht erzählt, in Südamerika zu wirken. „Wir haben ja schließlich eine Verantwortung für die Weltkirche“, habe dieser unter Hinweis auf das Zweite Vatikanische Konzil gesagt.

Nach fünf Jahren Kaplanszeit, unter anderem in Kahl am Main und Schweinfurt-Heilig Geist sowie als Dekanatsjugendseelsorger, ging Böll zunächst zum Spanisch-Intensivkurs nach Madrid. 1973 kam er dann nach Kolumbien. Dort wirkte er bis 1993 insgesamt 20 Jahre als Pfarrer von Puerto López. Und das alles unter nicht gerade leichten Begleitumständen: Todesschwadronen der Kokain-Mafia kämpften regelmäßig mit Gruppen der linken Farc-Guerilla. „Ein Resultat war, dass irgendwann die kleinen Polizeistationen im Urwald nach bewaffneten Überfällen alle geschlossen waren und es nur noch die großen an zentralen Orten gab.“ Wie entspannt ein solches Umfeld im Alltag ist, kann sich jeder ausmalen.

„Ich bekam zunächst einen Fünf-Jahres-Vertrag. Der wurde dann einmal verlängert, nach zehn Jahren hat keiner mehr danach gefragt“, berichtet Böll sichtlich amüsiert. Seine Aufgabe in dieser Zeit: die Pastoral ausbauen. Sechs Kapellengemeinden und vier Pfarreien wurden in Puerto López errichtet, außerdem ein von Ordensschwestern geleitetes Schulzentrum. „1992 hatten wir dort die ersten Abiturienten.“ Bei den vielen Bauprojekten, die er zu betreuen hatte, half Böll gewiss die Tatsache, dass er drei Jahre als technischer Zeichner gearbeitet und Erfahrungen als Hilfsarbeiter auf dem Bau gesammelt hatte.

1993 kehrte Böll nach Unterfranken zurück und wirkte bis 2000 in Traustadt, Donnersdorf und Pusselsheim sowie ab 1998 auch in Bischwind. Der Kontakt zu seinen sieben Geschwistern war von dort aus deutlich einfacher zu pflegen. Dennoch ging er im Anschluss wieder in den Missionseinsatz nach Lateinamerika. „Ich musste mir eingestehen: Mein Herz fühlt sich eher in Lateinamerika zuhause.“ Er vermisste die Offenheit und Aufgeschlossenheit der Menschen dieser Region. Also ging er erneut dorthin, diesmal nach El Palmar im venezolanischen Bundesstadt Bolivar. Böll errichtete dort, auch unter großem persönlichem Einsatz, ein Pfarr- und ein Bildungszentrum. Gab es früher noch größere staatliche Zuschüsse, so gibt es seit der „bolivarischen sozialistischen Revolution“ im Jahr 1999 nur noch Materialzuteilung auf freiwilliger Basis. „In diesem Jahr haben die ersten Höheren Techniker im Agrarwesen ihren Abschluss gemacht. Nochmals zwei Jahre, und es gibt an unserem Institut die ersten Agraringenieure“, erzählt Böll. Und noch eine Neuerung gab es laut Böll vor Kurzem: „Unsere Uni war Corona-Impfzentrum. Verimpft wurde chinesischer Impfstoff.“ Immerhin 50 Prozent betrage die Impfquote in Venezuela.

Auch die Kirche im Land habe massiv unter den Auswirkungen der Pandemie gelitten, berichtet Böll. „Viele Priester sind entmutigt. Sie leben von dem, was Klingelbeutel und Spenden einbringen. Was das bei den strengen Coronaregeln bedeutete, können Sie sich vorstellen.“ Die vielen Freikirchen in seinem Umfeld dagegen hätten regen Zulauf , weil sie mit dem Verderben der Hölle drohten, ein großer Teil der etwa 400 dort aktiven evangelikalen Pastoren lebe praktisch von den „Angstbekehrungen“.

Böll selbst hat in seiner Zeit als Generalvikar zwischen 2008 und 2018 dafür gesorgt, dass jede Pfarrei zehn Prozent ihrer Einnahmen an das Bistum abführt. „Wer nichts abliefert, bekommt umgekehrt auch kein Geld von der Diözese“, sagt er. Das Bischöfliche Ordinariat von Ciudad Guyana besteht aus zwei zusammengelegten Wohnungen. Dort wirkt der Generalvikar zusammen mit wenigen Mitarbeitern. Böll erledigte diese Aufgabe für das Bistum mit knapp einer Million Katholiken quasi nebenher: „Ich bin immer dienstagabends die zwei Stunden von zuhause dorthin gefahren. Ich habe dann im Büro auf einer Matratze übernachtet und tagsüber zwei Tage lang die Amtsgeschäfte geregelt, um dann wieder zurück nach El Palmar zu fahren.“


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